Bilanz der Ausstellung

 „Haltung zeigen und ein Gesicht haben“ – dieses Fazit haben die Organisatoren der Ausstellung „Gegen das Vergessen“ jetzt gezogen.

 

„Die 38 Portraits des Fotografen Luigi Toscano haben den Opfern auf unterschiedliche Weise ein Gesicht gegeben“ fasste Schulseelsorger Christoph Moormann seine Eindrücke zusammen. „Und die große Zahl der Besucher und Besucherinnen macht deutlich, dass in Ibbenbüren viele Menschen Haltung zeigen“, ergänzte Sozialarbeiterin Barbara Kurlemann. Sowohl die Schüler-Guides der Erna-de-Vries-Gesamtschule und des Kepler-Gymnasiums als auch die Erwachsenen-Guides freuten sich über die große Nachfrage in der Ausstellung und der damit verbundenen leidvollen Geschichte der Opfer.

 

„Es ist ein gutes Zeichen, dass alle weiterführenden Schulen in Ibbenbüren und darüber hinaus Schulen aus Hörstel, Tecklenburg und Osnabrück die Ausstellung und die sie begleitenden Veranstaltungen besucht haben“, sagte Moormann, Er gehe davon aus, dass es viele neue Botschafterinnen und Botschafter gebe, die sich dafür einsetzen, dass die Nazi-Gräuel nicht in Vergessenheit gerieten.  Zudem wisse er, dass den Schülerinnen und Schülern ab Montag „etwas fehlen“ werde. Die Ausstellung stand bis vergangenen Freitag für drei Wochen zwischen Gesamtschule und Gymnasium – gleichsam als fester Bestandteil des Schulalltags.

 

Bei einem Abschlusstreffen der Guides in der Ausstellung war durchaus Wehmut wahrzunehmen, wie einige betonten. „Wir haben uns gefreut, Bestandteil dieses wichtigen Projekts sein zu dürfen“, fasst Elke Pruß die Stimmung zusammen. „Es war uns eine Ehre“. 

 

Neben den Schülerinnen und Schülern der beiden Schulen haben rund 1200 Gäste die Ausstellung bei Führungen besucht, dazu ungezählte weitere, die die rund um die Uhr zugänglichen Portraits etwa bei Spaziergängen wahrgenommen haben. „Der Standort war optimal, da sehr häufig Menschen in der Ausstellung waren“, stellte Dagmar Schnittker fest.  Zeitzeuge Dr. Boris Zabarko hatte in der ersten Woche in insgesamt acht Veranstaltungen – vier vormittags für die Schulen und vier weitere abends für die Öffentlichkeit in Osnabrück, im Dom zu Münster im Kloster Gravenhorst und in der Ludwig-Kirche fast 4000 Leute eindrucksvoll von seinen unmenschlichen Erlebnissen im Ghetto von Shahorod im Südwesten der Ukraine berichtet.

 

In diesen Tagen hat Luigi Toscanos Film „Schwarzer Zucker, rotes Blut“ Premiere in Deutschland.  Darin „entschlüsselt“ der Filmemacher die Identität von Anna Strishkowa, die als Kind nur eine Nummer im „Versuchslabor“ des barbarischen Arztes Dr. Mengele war. Der Film ist aktuell bei einem internationalen Wettbewerb in Mexiko als bester Beitrag ausgezeichnet worden. Der Dokumentarfilm wird auch in Ibbenbüren zu sehen sein, voraussichtlich Anfang Februar 2025 - und in Anwesenheit des Künstlers. „Wenn alles klappt, planen wir zwei Vorstellungen – morgens für die Schulen und abends für das übrige Publikum“, skizziert Moormann den Stand der Planungen. „Ein weiterer wichtiger Beitrag Gegen das Vergessen“.

 

Seit 2014 trifft und porträtiert Toscano dafür weltweit Überlebende der NS-Verfolgung. Mehr als 450 dieser Begegnungen gab es bereits in Deutschland, den USA, Österreich, der Ukraine, Russland, Polen, Israel, den Niederlanden und Weißrussland. Und noch werden es mehr, doch die Jahre sind gezählt: In nicht allzu ferner Zukunft wird es keine lebenden Zeitzeugen mehr geben. Luigi Toscano und sein Team wollen mit der Ausstellung gerade der Erinnerungskultur ein Gesicht geben. Wie konnten Menschen anderen Menschen so viel Leid zufügen?  Warum hat niemand etwas getan? Und wie können wir verhindern, dass so etwa je wieder geschieht? – das sind Fragen, die „alle Menschen gemeinsam im Bewusstsein haben müssten“. Ziel der Ausstellung ist es, eine aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte und den Themen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung anzuregen – immer mit dem Blick auf die Gegenwart und die Zukunft. Die Ausstellung versteht sich zugleich als Impuls, sich für eine vielfältige und demokratische Gesellschaft einzusetzen.

 

Teile der Ausstellung sind aktuell am Wilhelm-Hausenstein-Gymnasium in Durmersheim in der Nähe von Karlsruhe zu sehen. Einige der Bilder werden in Dresden gezeigt – auf dem Platz der „Pegida-Veranstaltungen“ – ein wichtiges Zeichen.  Toscano freut sich, zum dritten Mal seine Ausstellung in Paris zeigen zu dürfen – zudem erstmals in Italien. Zum Internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar wird unter der Schirmherrschaft des italienischen Präsidenten Sergio Mattarella die Ausstellung „Gegen das Vergessen“ am Flughafen in Mailand eröffnet, wie er am Rande seines Besuchs in Ibbenbüren erzählte.    

                                                            

Erhard Kurlemann


Gästebuch

„Seid Menschen“ – diese beiden Worte von Margot Friedländer haben offenbar viele Besucher der Ausstellung „Gegen das Vergessen“ zusätzlich besonders beeindruckt – vielleicht, weil sie so selbstverständlich klingen, aber in einer unruhigen Welt keine Beachtung finden. Im Gästebuch zur Ausstellung beziehen sich gleich mehrere Einträge auf die Auschwitz-Überlebende, die vor wenigen Tagen 103 Jahre alt geworden ist.  Auch die Notwendigkeit, die Erinnerungs- und Gedenkkultur zu bewahren, findet mehrfach Zustimmung: „Wer sich seiner Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen“ – dieses Zitat des spanischen Philosophen George Santayana aus dem Jahr 1905 hat an seiner Aktualität nichts verloren.

 

Rund 75 Einträge in das Gästebuch zeigen, welche Bedeutung der Holocaust und seine gedanklich-ideologischen Vorläufe in unserer Gegenwart haben. „Fassungslos“ ist eine Schreiberin darüber, dass es Menschen gegeben hat, die anderen Menschen unsägliches Leid zugefügt haben.  Einige sehen sich nicht in der Lage ihre Sprachlosigkeit aufgrund des Besuchs der Ausstellung in Worte zu fassen. Allen gemeinsam ist wohl das Bekenntnis, sich dafür einzusetzen, dass sich solche Gräueltaten von Menschen gegen anderen Menschen nicht wiederholen. „Nie wieder ist jetzt“ - unter diesem Hashtag wird in vielfältiger Weise dazu aufgerufen, wachsam zu sein gegen Rassismus, Antisemitismus und rechtsradikale Parolen.  Haltung haben und Gesicht dafür zeigen – Zeitzeuge Dr. Boris Zabarko und Fotograf und Filmemacher Luigi Toscano, hatten den zahlreichen Besucherinnen und Besuchern der Vorträge dafür gedankt, dieses durch ihre Teilnahme unterstrichen zu haben.  Das gelte  grundsätzlich auch für die Gäste der Ausstellung,  „Wir haben viele insbesondere junge Menschen gefunden, die als Multiplikatoren der Ausstellung eine nachhaltige Botschaft verleihen, die ihre Wirkung nicht verfehlen wird“, betont der Initiator Schulseelsorger Christoph Moormann.  „Die Ausstellung hat als Stadtgespräch Werbung für sich im Sinne des Titels  ,Gegen das Vergessen‘ gemacht und so ein Zeichen gesetzt.“ Eine wichtige Ausstellung, die den Betrachter so intensiv mit einem schwierigen und von Leid geprägten Thema befasst, dass er gleichsam Botschafter der Gegenseite werden muss – Wiederholung der Geschehnisse unvorstellbar.  

 

„Berührend“ – „beeindruckend“ – „erschütternd“   - die Einträge im Gästebuch waren emotional. Das Verzahnen von Vergangenheit und Gegenwart sei ein notwendiger Beitrag dazu, um Ausgrenzung in allen Bereichen zu unterbinden. Oder, um es mit Margot Friedländer zu sagen: „Es gibt nur menschliches Blut“.


Erhard Kurlemann


Gegen das Vergessen

(Vorläufige) Zeitplanung Ausstellung „Gegen das Vergessen“ und Veranstaltung mit Zeitzeuge Dr. Boris Zabarko

 

Montag, 28.10.2024

Eröffnung der Ausstellung „Gegen das Vergessen“ mit Dr. Boris Zabarko (Begrüßung durch Bürgermeister Dr. Marc Schrameyer)

  • 10 – 11 Uhr Bürgerhaus mit Zeitzeugen Dr. Boris Zabarko und 755 Schülerinnen und Schülern:
  • 11.30 – 12.30 Uhr Eröffnung in der Ausstellung von Luigi Toscano mit Dr. Boris Zabarko und geladenen Gästen  
  • 14.30 Uhr Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Ibbenbüren – Boris Zabarko 
  • 19.00 Uhr – Veranstaltung mit Boris Zabarko in der Kleinen Kirche, Osnabrück

Dienstag, 29.10.24:

  • 11:00-12:00 Uhr Zeitzeugenbericht von Dr. Boris Zabarko in der Christus Kirche mit 400 SchülerInnen
  • 19.30 Uhr – Veranstaltung in St. Ludwig Ibbenbüren mit Dr. Boris Zabarko

Mittwoch, 30.10.2024

  • 9:45-10:45 Zeitzeugenbericht von Dr. Boris Zabarko in der St. Mauritius Kirche mit 500 SchülerInnen
  • 18.00 Uhr Veranstaltung im St. Paulus-Dom, Münster mit Dr. Boris  Zabarko

Donnerstag, 31.10.2024

  • 9:45-10:45 Zeitzeugenbericht von Dr. Boris Zabarko in der St. Mauritius Kirche mit 500 SchülerInnen
  • 18 Uhr Veranstaltung im Kunsthaus Kloster Gravenhorst mit Dr. Boris Zabarko

Dienstag, 12.11.24:

  • 10.15 – 12.55 Uhr Treffen der Schülerinnen und Schüler des Kepler Gymnasiums und der Erna-de-Vries-Gesamtschule sowie geladene Gäste mit Luigi Toscano - Begrüßung und Einführung Dr. Marc Schrameyer

14 Uhr - Eintragung ins Goldene Buch der Stadt 

 

Sowohl die Erna-de-Vries-Gesamtschule wie auch das Kepler-Gymnasium haben Guides ausgebildet, um ihre Schülerinnen und Schüler durch die Ausstellung zu führen. Für die Erna-de-Vries-Gesamtschule engagiert sich André von Gostomski und für das Kepler Gymnasium Johannes Leushacke für diese Ausstellung und sind neben dem Schulseelsorger Christoph Moormann Ansprechpartner für Fragen zu dieser Ausstellung im schulischen Kontext. 

 

Das verantwortliche Organisationsteam - Schulseelsorger Christoph Moormann, Sozialarbeiterin Barbara Kurlemann und Leiterin der Stadtbücherei Dagmar Schnittker - haben inzwischen 8 Frauen und Männer angesprochen, die Führungen für Interessierte außerhalb der Schulen anbieten.

 

Besuchszeiten der Ausstellung:

montags - freitags: 10 - 11 Uhr 16 - 17 Uhr

samstags: 15 - 16 Uhr

sonntags: 11 - 12 Uhr 15 - 16 Uhr

 

Bei Anfragen zu Besuchen der Ausstellung kontaktieren Sie gerne cmoormann@web.de


Gegen das Vergessen

 

Über das Projekt

GEGEN DAS VERGESSEN ist das Erinnerungsprojekt von Luigi Toscano. Seit 2014 trifft und porträtiert der Fotograf und Filmemacher dafür Überlebende der NS-Verfolgung. Mehr als 400 solcher Begegnungen gab es bereits in Deutschland, den USA, Österreich, der Ukraine, Russland, Israel, den Niederlanden, Frankreich und Belarus. Noch werden es mehr, doch die Tage sind bald gezählt: In nicht allzu ferner Zukunft wird es keine lebenden Zeitzeugen mehr geben.

„Wie konnten Menschen anderen Menschen so viel Leid zufügen? Warum hat niemand etwas getan? Wie können wir verhindern, dass so etwas je wieder geschieht?“ Diese Fragen treiben Luigi Toscano und sein Team an. Und sie sind seit Projektbeginn noch dringlicher geworden. Mit GEGEN DAS VERGESSEN gibt der Künstler der Erinnerungskultur ein Gesicht und zeigt: Damals wie heute gibt es viel mehr Gemeinsamkeiten, die uns verbinden, als Unterschiede, die uns trennen. Dafür wurde Luigi Toscano 2021 zum UNESCO Artist for Peace berufen – als erster Fotograf überhaupt. Im Oktober 2021 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

 

Statt hinter verschlossenen Museumstüren präsentiert Luigi Toscano seine überlebensgroßen Porträts von Überlebenden an zentralen Orten, die für alle zugänglich sind – Parks, Plätze oder Häuserfassaden. Auf diese Weise erreichen sie den Betrachter persönlich und emotional, unabhängig von Alter, Herkunft, Sprache oder Bildung. Mehr als eine Million Besucher weltweit konnten GEGEN DAS VERGESSEN so bereits persönlich erleben. Erstmals wurde die Fotoinstallation 2015 in Luigi Toscanos Heimatstadt Mannheim gezeigt. 2016 war sie zum Staatsakt des Gedenkens an die Massaker von Babyn Jar in Kiew eingeladen. Es folgten drei weitere Stationen in der Ukraine und zwei in Berlin. 2018 war GEGEN DAS VERGESSEN zum Internationalen Holocaust-Gedenktag bei den Vereinten Nationen in New York City zu Gast, später in Washington, D.C. und Boston. 2019 reiste das Projekt nach San Francisco. Mit der Eröffnung in Wien und Mainz war die Installation erstmals in drei Städten gleichzeitig zu sehen. Es folgten Stationen in Kansas City und Pittsburgh, bei den Vereinten Nationen in Genf und in Dortmund. Am 27. Januar, dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, wurde die Ausstellung am UNSECO-Hauptquartier in Paris gezeigt. Zuletzt war sie im Mai 2021 in Heidelberg zu Gast.

Als multimediales Projekt umfasst GEGEN DAS VERGESSEN neben der Ausstellung selbst zwei weitere wichtige Elemente: Der Dokumentarfilm feierte 2019 Premiere beim Seattle International Film Festival und wurde für den Deutschen Menschenrechts- Filmpreis 2020 nominiert. Die zweite Auflage des Bildbandes ist Anfang 2020 erschienen. Die aktuelle Ausstellung mit einer Auswahl an Porträts ist Teil des Bildungs- und Dialogprojekts von GEGEN DAS VERGESSEN. Ziel ist es, eine aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte und den Themen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung anzuregen – immer mit dem Blick auf die Gegenwart und Zukunft. Das Programm soll vor allem auch Impulse geben, sich für eine vielfältige und demokratische Gesellschaft einzusetzen.

Ein ganz besonderer Dank gebührt den Überlebenden, die sich für GEGEN DAS VERGESSEN porträtieren ließen. Ohne sie wäre das Projekt nicht möglich gewesen. Ihre Stärke ist unvergleichlich, ihr Vertrauen die größte Ehre und Anerkennung.

 

Biografie Luigi Toscano

Der Fotograf und Filmemacher Luigi Toscano ist ein Autodidakt mit bewegter Vita. Als Dachdecker, Türsteher und Fensterputzer erlebte der Sohn italienischer Gastarbeiter seine Umwelt aus den unterschiedlichsten Perspektiven. Dass sich daraus eine künstlerische Laufbahn entwickelt, ist ungewöhnlich. Luigi Toscanos Arbeiten stellen Menschen in den Mittelpunkt und erzählen die

Geschichten hinter dem Sichtbaren. Seine Kunst spricht eine Sprache, die jeder verstehen kann. Diese nutzt er auch, um sich klar zu positionieren und gesellschaftspolitische Zeichen zu setzen. Mehr und mehr erobert er dafür den öffentlichen Raum. Häuserfassaden, Plätze oder Parks: Statt hinter abgeschirmten Museumstüren werden seine Bilder an frei zugänglichen Orten präsentiert.

Erstmals kam dieses Konzept 2014 zum Einsatz: Mit Heimat_Asyl brachte Luigi Toscano die überlebensgroßen Porträts und die Geschichten von Asylbewerbern an einen zentralen Platz seiner Heimatstadt Mannheim – und damit ins Bewusstsein Tausender Menschen. Im Jahr 2014 rief er dann GEGEN DAS VERGESSEN ins Leben.

2021 wurde Luigi Toscano zum UNESCO Artist for Peace berufen – als erster Fotograf überhaupt. Im Oktober 2021 wurde im der Bundesverdienstorden von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier verliehen.

 

Weiterführende Links

Dokumentarfilm

„Lest we forget / Gegen das Vergessen“ 2018. Ca 85min.: https://www.youtube.com/watch?v=jOxmRv2Qe-g

 

Filmbeiträge

Zusammenschnitt über die Geschehnisse in Wien 2019. Ca. 21min.: https://www.youtube.com/watch?v=OuVtSB2TvpA

„Kunst als Weg der Erinnerung“ ARD, 2019. Ca. 30min.: https://www.youtube.com/watch?v=OuVtSB2TvpA

 

App im Appstore

https://apps.apple.com/de/app/lest-we-forget/id1029897405